Ein Tag der Freiheit. Frei – von was?
Ja, ich war aufgemischt. Und bin es noch. Wie so viele. Und empört. Gespalten. Genervt. Und – ratlos.
In diesen Tagen nach den Corona-Demos, hauptsächlich denen in Berlin, wo Tausende von Menschen auf die Straße gingen. Um sich Luft zu machen, zu protestieren, zu demonstrieren und sich zu präsentieren. Gegen das, was sie als ungerecht, übertrieben und freiheitsberaubend empfunden haben.
Soweit, so gut und so richtig.
Denn in diesem Land wird das Versammlungsrecht und damit die freie Meinungsäußerung als hohes Gut angesehen und geschützt. Also lassen wir sie doch, könnte man ganz gelassen und demokratisch denkend sagen. Jedem seine Meinung. Wenn – ja wenn das Wie und die Folgen nicht uns alle betreffen und mittelbar auch gefährden könnten. Aber dazu später mehr.
Was ist da los?
Von Berufs wegen versuche ich immer erst, zu verstehen.
Ich trete dann spätestens bei dem ersten oder zweiten Störgefühl einen Schritt zurück und schaue hin, höre zu, versuche mir mit etwas Abstand einen neutralen Eindruck zu verschaffen, ohne vorschnelle Wertung und Abkanzlung, auch wenn mir das zugegeben diesmal schwergefallen ist.
Aber dann habe ich sie gesehen, die zu tiefst verunsicherten Menschen, die mit einer Situation umgehen müssen, die es noch nie in ihrem Leben gab. Wo sie also auf keine gemachten Erfahrungen zurückgreifen können, um sie zu meistern. Die zu allem Übel auch noch lebensbedrohlich und existenzgefährdend ist. Was liegt da näher, als zu negieren, was ich ja nicht sehen, hören, fühlen usw. kann, was mich aber gefühlt `von oben diktiert´ der Freiheit beraubt. Einen Feind, den ich nicht wahrnehmen kann, kann ich nicht bekämpfen. Deshalb wohl auch der Titel der Demo `Das Ende der Pandemie´.
Wenn dazu noch ein schon vorhandenes Misstrauen gegen `die da oben´ kommt und eine ganz persönlich empfundene Ungerechtigkeit, habe ich schnell ein neues, ein greifbares Feindbild und alle, die nicht auf `meiner Seite sind´, sind gegen mich und ebenso mein Feind.
Um nicht durch eventuell aufkommende Zweifel an dem, was ich glaube, noch mehr Unsicherheit hoch kommen zu lassen, lehne ich jedes Gegenargument und oft sogar jede Diskussion darüber ab. Und wenn ich den Informationen aus Politik, Medien und Wissenschaft misstraue, brauche ich jemanden, der mir nicht noch mehr Ängste und Zweifel sondern Sicherheit gibt, indem er mich bestätigt, mir sagt, wo ich die vermeintliche Wahrheit finden kann.
Das Zugehörigkeitsgefühl einer Gruppe Gleichgesinnter macht mich stark, besonders in geschlossenen Facebook-Gruppen, in der ich wohlwollend aufgenommen werde, aus welcher Richtung ich auch komme, Hauptsache meine Ansichten spiegeln die der Gruppe. Das Problem – es dringen keine anderweitige Informationen mehr zu mir durch, die meine Meinung und die der Gruppe auf den Prüfstand oder gar infrage stellen könnten.
Das stützt wieder einmal die Annahme, die ich vom NLP gelernt habe – Hinter jedem Verhalten steckt eine positive Absicht. Zumindest für den, der sich so verhält. Hier – ein Mittel gegen Angst und Zweifel zu finden.
Und da sind wir bei dem Punkt, an dem wir `sie´ nicht einfach machen lassen können. Wenn mich das Verhalten eines anderen – mit einer Absicht, die noch so gut sein mag – gefährdet, dann darf, ja dann muss ich mich wehren. In diesem Fall war es die Aufgabe der Polizei, das zu tun und einzugreifen, um die Sicherheit aller sicher zu stellen.
Demokratie heißt Freiheit UND Verantwortung
Ob es 17.000 Teilnehmer, 20.000 oder vielleicht auch einige mehr waren, der Gedanke – die Absicht dahinter wird bestimmt von viel mehr Menschen geteilt als nur von denen, die dabei waren.
Und spätestens jetzt wird mir mulmig. Was wird eigentlich, falls die Zahlen durch Urlaubsrückkehrer oder eben diese Corona-Maßnahmen-Verweigerer und noch weiteren Geschehnissen so sehr weiter steigen und es deshalb zu einem zweiten Lockdown kommen sollte – wie werden sich dann eben diese Menschen verhalten?
Ja, es ist wichtig und richtig, den Gesetzesmachern auf die Finger zu schauen und gegebenenfalls den Mund aufzumachen. Das ist Demokratie.
Und ja, unsere Freiheit ist momentan eingeschränkt. Und damit unsere freie Entscheidung, tun und lassen zu können, was wir wollen, auszugehen und zu feiern, mit wem und wie exzessiv wir wollen. Einkaufen und Restaurantbesuch auf Abstand und mit Masken macht keinen Spaß. Auch mir gefällt es nicht, meine Freunde nicht zu sehen, meine Kinder und Enkel nicht in den Arm nehmen zu können und mein Leben so zu leben, wie ich es gewohnt war.
Aber diese Freiheit wurde nicht von der Politik, den Wissenschaftlern, den Medien und schon gar nicht von Bill Gates eingeschränkt. Sondern von einem Virus, das eine weltweite Pandemie mit unfassbar viel Leid verursacht hat.
Jeder hat die freie Wahl, auf die Straße zu gehen und seinen Unmut zu zeigen, wogegen auch immer.
Wer sich egal aus welchen Gründen entschieden hat, eine andere Wahrheit zu glauben, soll das tun, das alles ist möglich in diesem freien, demokratischen Land.
Aber bitte mit Abstand zu den Mitmenschen und mit Maske!
Die Freiheit der Demonstranten und Zweifler, zu tun, was sie für richtig halten, kann uns allen, jedem Einzelnen schaden. Und spätestens, wenn unsere Wirtschaft durch einen weiteren Lockdown endgültig in die Knie geht, sind wir alle in einem Boot und müssen, ob wir wollen oder nicht, an einem Strang ziehen, um da raus zu kommen.
„Freiheit ist immer die Freiheit der anders Denkenden.“ (Rosa Luxemburg)
Das gilt für alle Richtungen. Eben auch für die, die der Politik und der Wissenschaft glauben, die sich schützen möchten und die entsprechenden Maßnahmen einhalten.
Mein Appell und meine Bitte:
Wenn Du zu den Zweiflern gehörst, geh demonstrieren und sage laut Deine Meinung.
Aber respektiere auch die Meinung Deiner Mitmenschen, so wie Du mit Deiner Meinung respektiert werden willst.
Und – respektiere deren Wunsch nach Abstand und einem Mund-Nasenschutz.
Achte auf Dich selbst und darauf, wessen Theorien Du glaubst und ob Deine Unsicherheit und Ängste nicht für ureigene Zwecke missbraucht werden.
Hier ist Zweifel angebracht!
Wenn ich unsicher bin und zweifle, helfen mir zwei Dinge:
Umfassende und vielfältige Informationen aus den unterschiedlichsten und mir als glaubwürdig erscheinenden Quellen.
Facebook ist keine davon.
Und zweitens die Frage nach der Wahrscheinlichkeit. Wie wahrscheinlich ist es, das XY stimmt oder wie wahrscheinlich ist es, das YZ passiert.
Das hilft mir, eine eigene Meinung zu bilden und ist mein Mittel gegen Verunsicherung in diesen kuriosen Zeiten.
Ich habe unter den vielen Plakaten der Demo eins gesehen, was es wirklich trifft:
`Selber denken´.
Danke für´s Lesen.
Und bleib gesund!